Nachhaltiges Lernen/ Teil 2: Her mit der Einsicht!


Im 1. Teil unserer Artikelserie haben wir erläutert, weshalb unser Gehirn viele neue Informationen einfach wieder aussortiert und wie schnell dies geschieht. Gemäß der „Vergessenskurve“ von Professor Ebbinghaus scheinen wir einen hohen Anteil neu erlernter Dinge ganz schnöde zu vergessen. Doch weshalb erinnern wir uns an ganz andere Dinge noch Jahre später?

Zum Lernen und Erinnern gibt es viele Theorien – eine davon soll hier exemplarisch vorgestellt werden:

Das kognitive Lernen oder „Lernen durch Einsicht“

Die Psychologen Wolfgang Köhler und Max Wertheimer haben sich mit den Hintergründen erfolgreichen Lernens befasst und wesentlich zur Theorie des Kognitivismus beigetragen. Ihrer Forschung nach gliedert sich ein erfolgreicher Lernprozess in sechs Phasen, die wir anhand eines Beispiels erläutern wollen. Sie werden sehen, dass auch Sie bereits öfter „kognitivistisch“ gelernt haben, als Sie ahnen – und dies teilweise mehrmals am Tag.

Die sechs Phasen des Lernens durch Einsicht

1. Auftauchen eines Problems:

Die Diskrepanz zwischen Ist und Soll (Ziel) erzeugt Spannung (Motivation) und somit das Suchen nach einer Lösung.

Beispiel: Kaum wird es draußen richtig kalt, geht der Ärger mit den Heizkörpern wieder los. Im Schlafzimmer herrschen gefühlte 30°C, obwohl das Thermostat auf „0“ steht, während man sich im Wohnzimmer ohne Fleecejacke und Wolldecke trotz dem auf „5“ gestellten Thermostat fröstelt: dort wird die Heizung einfach nicht warm.

2. Probierverhalten:

Das Ausprobieren bekannter und bewährter Handlungsstrategien.

Nach dem Einbau der Heizung hat der Installateur Ihnen eingeschärft, die Heizkörper regelmäßig zu entlüften und die Einstellungen an der Heizungsanlage zu überprüfen. Sie machen sich also gleich ans Werk.

3. Umstrukturierung

Das Situationsgefüge wird denkend neu erfasst und kognitiv umstrukturiert. Versuch und Irrtum werden hierbei nicht in Wirklichkeit durchgeführt, sondern in Überlegung vollzogen. Der Vorteil im Gegensatz zu Konditionierung ist, dass Risiken bei Irrtum vermieden werden können.

Ihr Heizungs-Check ist beendet: Es befindet sich keine Luft mehr in den Heizkörpern, die Eingaben für Uhrzeit, Temperatur-Soll und Nachtabsenkung sind korrekt in das Betriebsprogramm eingetragen. Und doch herrschen immer noch 30°C im einen und 19°C im anderen Raum. Die Checkliste des Installateurs ist nun abgearbeitet und dennoch bleibt das Problem bestehen. Ihre logische Schlußfolgerung lautet deshalb natürlich: Die Ursache muss woanders zu finden sein.

4. Einsicht und Lösung

Bevor Sie nun den Heizungsfachmann zu sich bestellen, machen Sie sich erst einmal auf die Suche im Internet. Möglicherweise haben andere Menschen ja ganz ähnliche Probleme gehabt und eine entsprechende Lösung gefunden. Und siehe da: bereits die ersten Stichworte („Heizung lässt sich nicht abdrehen“) bescheren Ihnen jede Menge Treffer in der Suchmaschine. Sie erfahren, dass vermutlich die Thermostate der Heizkörper nicht korrekt öffnen und schließen und deshalb entweder zu viel oder zu wenig heißes Wasser hineinfließt. Dies würde auch die Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Temperatur erklären.

5. Anwendung: Umsetzung des Handlungsprozesses und Beibehaltung bei Erfolg

Durch entsprechende Tipps und Erklärvideos aus dem Internet sind Sie in der Lage, das Problem selbst sofort zu lösen. Hierzu brauchen Sie in diesem Fall weder technische Fachkenntnisse, noch spezielles Werkzeug. Sie schrauben die Thermostate gemäß der Videoanleitung ab, lockern die Ventile vorsichtig und schrauben alles wieder an. Sofort breitet sich im Wohnzimmer wohlige Wärme aus, während sich die Hitze im Schlafzimmer wieder abbaut. Großartig!

6. Übertragung: Die gefundene Lösung wird eingeübt und kann per Lerntransfer auf Ähnliches übertragen werden.

Sie sind begeistert, dass Sie das Rätsel der falsch funktionierenden Heizkörper durch Ihren Lösungsweg geknackt haben. Was werden Sie wohl in Zukunft tun, wenn ein ähnliches Problem auftritt? Natürlich bedeutet dies nicht, dass Sie nun sämtliche Arbeiten am Haus selbst durchführen werden. Dann würde Punkt 4 (Einsicht und Lösung) darin bestehen, dass Sie einen Fachmann beauftragen.

(Quelle für die schraffierten Textteile: https://de.wikipedia.org/wiki/Lernen_durch_Einsicht)

Die Grundlagen des kognitiven Lernens werden gerne eingesetzt, um die Lernenden zu selbständigem Arbeiten zu motivieren und die Schritte der Lösungsfindung auf andere Situationen zu transferieren.

Im nächsten Teil unserer Artikelserie befassen wir uns damit, welche Möglichkeiten es für erfolgreiche Lerntransfers gibt.

Weiterführende Links zum Thema:

https://www.lecturio.de/magazin/kognitives-lernen/

http://lexikon.stangl.eu/225/cognitive-apprenticeship/

https://blog.cognifit.com/de/kognitives-lernen/

Barbara Gruber-Stahl, M.A.

(Fotos: Pixabay, privat)

©Copyright: Barbara Gruber-Stahl 2019, alle Rechte vorbehalten

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